

Jurgen Appelo warb Ende Januar in einem seiner Tweets für das erste Learning Camp in Europa. Spontan wusste ich damit nichts anzufangen. Nach kurzer Recherche wurde mir aber klar, dass es hier um das Thema Learning 3.0 geht. Was ist Learning 3.0 und wie passt das zum Thema Agilität? Um diese Fragen zu klären, kaufte ich mir das Buch “How Creative Workers Learn” von Alexandre Magno. Schon nach den ersten Seiten war mir die Sinnhaftigkeit des Ansatzes klar. Gleichzeitig stellte ich mir die Frage, wie ich jemanden den Learning 3.0 Ansatz am einfachsten näher bringen kann. Hier mein Versuch:
Meine Story: Learning 3.0 intuitiv angewendet
Vor einiger Zeit habe ich ein Scrum Team begleitet. Es stand vor der Herausforderung mit einer stark erhöhten Arbeitslast klarzukommen. Daher wurde beschlossen das Team innerhalb kürzester Zeit um das Dreifache zu vergrößern. Nachdem erste Skalierungsexperimente nicht die erhofften Effekte brachten, entschieden sich die Agile Coaches an einer SAFe Schulung teilzunehmen.
Nach viertägiger Druckbetankung war uns vieles klarer. Wir haben verstanden, dass mehr notwendig war als nur ein reiner Teamspilt und das Einführen von Scrum of Scrums. Voller neuer Impulse und mit großem Tatendrang teilten wir unsere Euphorie und Verbesserungsvorschläge mit dem Team. Obwohl wir glaubten mit SAFe sehr passende Antworten auf unsere Skalierungsprobleme gefunden zu haben, war das Team nicht bereit unsere Vorschläge zu akzeptieren.
Obwohl uns diese Reaktion überraschte und gar traurig stimmte, haben wir uns nicht entmutigen lassen. Wir stellten uns den kritischen Fragen des Teams. Letztendlich waren wir die „Experten“ und konnten bei Rückfragen jederzeit auf die recht große und erfahrene SAFe Community zurückgreifen. Was sollte uns passieren? Das Ergebnis: Weiterhin flächendeckende Skepsis und Ablehnung trotz guter Antworten.
Fast schon desillusioniert, starten wir einen letzten Versuch. Zunächst versicherten wir dem Team, dass SAFe nicht mehr gesetzt sei. Danach luden wir alle Projektbeteiligten ein, die nächsten Tage ihre Erfahrungen rund um Skalierung zu teilen und informell zu diskutieren. Konkrete Lösungsvorschläge waren jederzeit willkommen. Das kam anscheinend gut an. Zahlreiche Kollegen teilten ihre Erfahrungen aus anderen Unternehmen. Andere suchten im Internet nach Erfahrungsberichten und trugen diese ins Team. Alle waren sehr engagiert und offen für Neues. Die besten Gespräche fanden während des Mittagessens oder den Raucherpausen statt. Alle Erfahrungen, Ideen und Vorschläge wurden am Whiteboard in unserem Team-Raum festgehalten. Nach einigen Tagen haben wir daraus als Team unsere individuelle Lösung zusammengebaut, diese visualisiert und alle zugänglich gemacht. Sogar teile von SAFe kamen vor. Anscheinend sind wir mit der Lösung nicht schlecht gefahren, da wir mit der erhöhten Arbeitslast deutlich besser umgehen konnten als anfangs erhofft.
Klingt nach einem Happy End, oder? War es auch. Aber was hat das nun mit Learning 3.0 zu tun?
Learning 1.0: Der uns bekannte Standard
Die erste Lernerfahrung war die SAFe Schulung. Schulungen fühlen sich generell sehr „natürlich“ an, denn diese Art der Wissensvermittlung sind wir durch Schule, Lehre oder Studium gewohnt. Was aber ist das Charakteristische an klassischen Schulungen?
- Schulungsteilnehmer nehmen Wissen auf, überlassen aber dem Schulungsleiter die Schulungsdurchführung
- Der Schulungsleiter ist der Experte und definiert die Lernziele und konkrete Lerninhalte (das „Was“) sowie den Lernprozess (das „Wie“)
- Schulungen adressieren häufig Problemstellungen aus der Praxis, finden aber meist in einer Klassenzimmer ähnlichen Umgebung statt
- Meist schließt sich an die Schulung eine Prüfung an, bei der Teilnehmer nach Leistung klassifiziert werden
Die SAFe Schulung war für uns sehr lehrreich. Allerdings schafften wir das Erlernte nicht ohne weiteres in der Praxis anzuwenden. Genau das ist oft die größte Hürde beim Learning 1.0 Ansatz.
Learning 2.0: Der blinde Glaube an Best Practices
Nachdem das Team ihre Skepsis zum Ausdruck brachte, passten wir unsere Strategie an. Als SAFe Experten wollten wir die richtigen Argumente auf die kritischen Fragen des Teams finden. Unsere Strategie war also gezeichnet durch:
- Mehr Dialog und Interaktion beim „Was?“
- Wir als Experten kennen die richtigen Antworten und haben den Auftrag das Team richtig zu beraten
- Vorgeschlagenen Best Practices und Werkzeuge werden beworben, da diese bereits in anderen Kontexten erfolgreich eigesetzt wurden
Wir waren überzeugt mit den SAFe Best Practices die richtigen Antworten gefunden zu haben. Auch wenn das Team viel stärker eingebunden wurde, haben wir zu früh aufgehört nach weiteren Lösungen zu suchen. Das ist die große Gefahr, wenn man sich ausschließlich auf bewährte Best Practices verlässt.
Learning 3.0: Lernen durch Teilen
In unserer Verzweiflung verabschiedeten wir uns von den SAFe Ideen, da es anscheinend nicht der richtige Ansatz war. Das war der Schlüssel, um zu ermöglichen, was Alexandre Magno in seinem Buch als Learning 3.0 bezeichnet:
- Als Lernender ist man selbst Protagonist für den Lernerfolg
- Lernziele werden aus realen Problemen abgeleitet
- Der Lernerfolg entsteht durch die Kombination von Erfahrungsaustausch, Ideen und bewährten Werkzeugen sowie die bewusste Konfrontation unterschiedlicher Ansichten
- Das Lernergebnis wird als Impulsgeber für weiteres Lernen geteilt
Durch das Sammeln, Experimentieren und Teilen von unterschiedlichsten Erfahrungen und Ideen haben wir unsere eigene Lösung gefunden. Das ist genau die Kernidee von Learning 3.0.
Learning 3.0 als einzig richtiger Ansatz?
Der Learning 3.0 Ansatz hat in meiner geschilderten Geschichte sehr gut funktioniert. Warum? Wahrscheinlich weil es keine eindeutige Lösung auf unsere komplexe Problemstellung gab. Zu dieser Erkenntnis sind wir erst dann gekommen, nachdem die anderen Ansätze wenig Wirkung zeigten. Nichtsdestotrotz hatten die anderen beiden Ansätze auch ihre Berechtigung. Ohne die SAFe Schulung hätten wir weniger Werkzeuge zur Verfügung. Ohne unserer internen SAFe-Beraterrolle hätten wir uns nicht mit so vielen kritischen Fragen auseinandergesetzt. Ohne Einbeziehung des Teams samt aller Erfahrungen und Ideen hätten wir keine Lösung. Dank unserer agilen Denke haben wir uns auf Neues eingelassen und konnten so unseren Weg finden.
Foto von Anne Davis 773, Lizenz Creative Commons 2.0